Sonntag, 24. November 2019

Riegelverkostung – Geisha


Die im folgenden zu testende Riegelware wurde mir von Kathi "Unicorn" P. aus Schweden mitgebracht. Dafür Dank!

Was steht drauf:  Milk Chocolate with soft hazelnut filling – Mjölkchokolad med hasselnötsnougatfylling - Fazer

Hüftgoldfaktor: 193,5 Kalorien dat Stück

Erster Eindruck: Das zarte Rosa der wunderbar samtig-glatten Verpackung und die lieblichen Kirschblüten links und rechts an ihrem Rand konnten nicht über die tiefe Melancholie hinwegtäuschen, die mich ergriff, als ich mich diesem kleinen Riegel zuwandte, der wie eine dieser weißgesichtigen, filigranen, stets stoisch, ausdruckslos und porzellanen wirkenden „Personen der Künste“ heißt. Ich traute mich kaum, dieses hochdezente Naschwerk seiner edlen Hülle zu entmächtigen, tat es aber nach einer angedeuteten Verbeugung im Geiste doch und legte fünf gleichförmige „Fazer“-beschriftete Schokoquader frei, die vor mir lagen wie ein Manifest, das den edlen 5-fachen Pfad beschreibt, die fünf edlen schokoladenen Wahrheiten, die fünf ehernen haselnussigen Prinzipien einer stillen, introspektiven Lehre von Selbstversenkung, Achtsamkeit und Erkenntnuß.

Mundhaptik: Der erste Schritt auf diesem Pfad führt entlang der Kanten und Ecken des Quaders, kündet von seiner Gestalt, Festigkeit und Manifestiertheit. Der zweite Schritt leitet zu Anicca, der Unbeständigkeit, mahnt uns, daß nichts von Dauer ist, wenn die Integrität des festen Quaders der allumfassenden bukkalen Entropie zu weichen hat und zu zergehen beginnt. Der dritte Schritt kehrt das Innere nach Außen, bringt Zerstörung durch Zerkauen, Verwandlung, das Leid jeder großen Veränderung, Dukkha, das anzuerkennen, anzunehmen ist, bevor Schritt 4 in seiner mundschmeichelnden und –auskleidenden Nougat-Weichheit die Auflösung, den Verlust des Wesenskern, das Nicht-Selbstsein, Anatta, begreiflich macht. Bis schließlich nach dem fünften Schritt auf dem edlen Pfad, der das ehemals Gewesene in eine tiefe, verdauende Dunkelheit hinabrutschen läßt, die Erkenntnis sich erhebt, daß der Pfad gebogen ist und sich zu einem Kreise schließt und man mit dem nächsten Quader wieder beim ersten Schritt beginnt.

Geschmack: Typisch für diese Zusammensetzung wohnt auch der Nougatschokoladigkeit von Geisha dieses Schwere, Winterliche und Sättigende inne, etwas Ruhendes, Ernstes und Dunkles ist da. Eine breite, schwere und eng wie ein Kimono anliegende Süße entfaltet sich und bildet einen Kontrast zu jener Melancholie, die darin besteht auch umgeben von Nougat und Schokolade und ihrem Einswerden nicht entscheiden zu können, ob man sich nach tiefer tiefer Ewigkeit sehnt oder sie fürchtet, ein Kontrast der so hauchzart ironisch ist, wie die Ahnung eines Lächelns auf dem traurigen Puppengesicht einer Geisha.

Fazit: An einem stillen See sitzen, in dem sich der Mond spiegelt und auf dem die letzten Kirschblüten schwimmen, Geisha essen und flüstern: nirgends, Geliebte, wird die Welt sein, als innen. Unser Leben geht hin mit Verwandlung. Und immer geringer verschwindet das Außen.



 

Freitag, 15. November 2019

Riegelverkostung – Naderi


Die im folgenden zu testende Riegelware wurde mir von Frau Majidi aus dem fernen Orient, dem Land der Kamele, Wüsten und Verbote, aka dem Iran, mitgebracht. Dafür Dank!


Was steht drauf:  Since 1950. Und irgendwas auf Farsi, das aber entfernt an „SPL“ erinnert.

Hüftgoldfaktor: 492 Kalorien pro 100 g. Wieviel der Riegel wiegt und daher ansetzt, bleibt jedoch im Dunkeln.

Erster Eindruck: Wenn ich an den Iran denke, balgen sich vor meinem inneren Auge und in meinem Vorstellungstheater immer zwei Welten um die Vorherrschaft. In der eine, schöneren aber vermutlich nicht ganz akkuraten Vorstellung tanzen glutäugige Schönheiten mit Leibern, die so kurvig wie die Sanddünen in der soeben auf Kamelen durchquerten Wüste sind, barfuß und mit schlangengleich sich windenden und zuckenden Armen unter einem prachtvollen Sternenhimmel um ein Beduinenfeuer, an dem Wasserpfeife rauchend, Tee trinkend, Datteln und andere Köstlichkeiten schlemmend und natürlich feilschend sonnengebräunte und wind- und sandgegerbte Tuareg-Händler sitzen. Und so weiter, man kennt das ja. In der anderen Vorstellung herrscht ein theokratisches Scheißregime und mit ihm Unfreiheit, Willkür und Unterdrückung, wodurch ein schönes Land reich an Geschichte, Kultur, Bodenschätzen und guten Menschen zu einem kriegsbedrohten, armen, prekären und nicht mehr lebenswerten „shithole“ heruntergewirtschaftet wurde.
Dieser Dualismus kam mir in den Sinn, als ich „Naderi“ in Augenschein nahm, denn seine Verpackung ist auch in zwei Hälften geteilt. Rechts das tiefbraun der feuchten Augen der tanzenden Naderi, darunter ein alter Sinnspruch auf Farsi „ این نیز بگذرد‎" (īn nīz bogzarad) und ein kleines Rundes Symbol des Beduinenstammes, in dessen Mitte ein Kamel (nehme ich an) steht.
Naja und links eben auf hartem Weiß die Abbildung des phantasielosen, verhärmten mullahkratischen Naschwerks, bei dem es sich selbstverständlich um die Badelatschen, den VoKuHiLa, den Monotheismus der Riegel handelt: einen *seufz* *schonwieder* Schokowaffelriegel.
Gut überstanden hat er die lange Reise aus dem Orient in die Hände dieses gottlosen Schokopoeten, dieses okzidentellen Naschenschaftlers nicht gerade. Wie der Kern des iranischen Regimes ist er gebrochen, zersprungen und wird von nichts mehr zusammengehalten als einer extradicken Hülle aus Konvention und Abgrenzung von den Anderen.

Mundhaptik: Trocken und spröde wie sonnengedörrter Kameldung, hornig wie die Hände eines Karawanenführers und irgendwie abgestorben wie ein im Wüstensand verdursteter Dornenstrauch und die Hoffnung im Herzen vieler Iraner bröselt und staubt sich dies Ding in meinen Mund.

Geschmack: Und gerade als ich schon vollends in mundhaptischer Trostlosigkeit zu versinken drohte, brach sich ein kleines, dünnes, grünes Geschmackshälmchen durch die schartige Wüstenbodenkruste und schmeckte mir ein kleines Hoffnungsfünkchen zu: eine zarte, bescheidene, liebliche Süße ist da, ein paar verspielte Röstnoten des Waffelbruchs, ein armer aber feiner und aufrichtiger kleiner Schokooberton.

Fazit: So trist und hoffnungslos Naderi zu sein scheint, unter der narbigen Kruste, hinter den gesenkten Lidern seiner niedergebeugten Fassade ist doch ein kleiner, aber unbeugsamer und unverlöschlicher Funke, der eines Tages, in einer besseren Welt, wieder ein stolzes und freies Feuer entfachen wird.




Freitag, 8. November 2019

Riegelverkostung – Anita



Die im folgenden zu testende Riegelware wurde von Jan „Stift“ E. und Bunnyca G. beim Tschechen erworben und mir für Begutachtungszwecke großzügig überlassen. Dafür Dank. 

Was steht drauf:  Čoko; Sedita; s čokoládovou náplňou

Hüftgoldfaktor: 221 Kalorien dat Stück

Erster Eindruck: Ich fand ihn irgendwo, s’war nicht in Mexico: „Aniiiiitaa!“, braun ist der Bar, dazu’n Kaffe na klar „Aniiiiitaaa!“ – ich entschuldige mich natürlich in aller Form für diese popunkulturelle Referenz, doch mein armes Hirn wußte sich offenbar nicht anders zu helfen, als angesichts eines weiteren Tschechenriegels auch noch im antizipierten und inzwischen wundrezensierten Waffelriegelformat mit dieser Übersprungshandlung zu reagieren, während sich Flucht und Widerwille gegenseitig blockierten. Daß sich das rechts oben aufgedruckte „Sedita“ (tschechisch für „Glückauf und allzeit eine handbreit Pilsener im Glas“, vermute ich) auch noch plump auf „Anita“ reimt, half ebenfalls nicht, einer Schlagerassoziation vorzubeugen. Wenigstens die Hülle ist ansprechend gestaltet, halb silbrig, halb metallicbraun, mitten darauf groß „Anita!“ in hübscher roter Schreibschrift und als Serviervorschlag seitlich zum sicherlich etwas optimistisch, wenn nicht roßtäuscherisch dargestellten, hochglänzenden, wohldefinierten Riegel ist dort eine feine Tasse Kaffee abgebildet, wie sie auch gerade jetzt hier neben meinem Schreibgerät dampft.
Unter diesem Sonntagsnachmittagsausgehmäntelchen von einer Riegelhülle wartet denn, so wenig überraschend wie jeder einzelne Schlagersong auf der Welt, auch schon ein etwas ramponierter, sehr breiter, dafür flacher und schokoumhüllter Waffelriegelkeil, den die Reisen, die er schon zu erdulden hatte, mittig haben durchbrechen lassen. So geschrubbt und Feder gelassen habend er auch aussieht, riecht er doch immer noch recht appetitlich, entdeckt man doch Röstnoten und tiefes Schokoladiges in seinem Dunstkreis.

Mundhaptik: Es ist halt immer dasselbe. Waffellamellen, dazwischen irgendsoeine schokolierte Süßpaste, drumherum eine Schokohülle. Bla bla. Habe ich gefühlt schon tausendmal geschrieben. Was dem Schlager seine klebrigen, oberflächlich geschilderten, holprigen und mit peinlichen Plattreimen gespickten Verliebenslieder sind

Ich war neulich ganz allein und einsam beim Karate,
da sah ich plötzlich sie, es traf mich wie ein Schlag: Renate.
Ich sah sie an, sie sah mich an und dann, dann sah ich Sterne,
seitdem sind wir ein Paar, das ist so wunderbar, ich hab Renate gerne

oder seine dümmlichen, verzuckerten und das abgrundtiefe Elend dieser kaputten Welt einfach mit einer Schicht aus Verweigerung und Selbstbetrug überkleisternden und gerade deswegen eigentlich todtraurigen „Hey hey, ist das Leben nicht supi-dupi“-Lieder:

Wir machten Liebe in Kalkutta und liebten uns im Tschad,
dort waren alle lustig, gesund und froh und satt,
wir feierten in Rußland und Venezuela,
dort waren alle frei und reich und jeder rief „Hurra!“

das ist dem Schokowaffelriegel sein stets etwas trockenes Knusperreiben, Bröseln und Krümeln im Mund, in das sich mal früher mal später die jeweilige Schokoladenkomponente eindrängt, um für ein bißchen Gleitfähigkeit zu sorgen. Mehr ist es nicht, ist es nie. So auch hier.

Geschmack: Ich wiederhole mich, aber das tun diese verfluchten Schokowaffelriegel ja auch: die oben geschilderte Zusammensetzung läßt einfach nur eine begrenzte Zahl geschmacklicher Varia- und Permutationen zu und die Dinger schmecken, seien wir ehrlich, alle doch ziemlich ähnlich. Also genau wie beim hier Inspiration gebenden Schlager: Abwechslung, Herausforderung, Infragestellung, Neues, Wildes, Unkomfortables wird nicht nur nicht gewünscht, es wird nicht toleriert und gemieden wie flächendeckendes Internet von Deutschland. Alles muß immer der gleiche vorhersehbare, stumpfsinnige, ecken-, kanten-, hirn-, eier- und seelenlose, glattpolierte, massenkompatible, zuckersüße 4/4-getaktete und bei 1 und 3 klatschbare Einheitsbrei sein mit erbärmlichstmöglich paargereimten, leicht eindrillbaren und wie Pech in den Hirnwindungen haftenden Texten.

Ich esse Anita, das schmeckt mir wunderbar
Aniiiitaaaa!
Ich beiße in ihn rein, das muß der Himmel sein!
Aniiitaaaa!
Dann kau ich darauf rum und singe „Dumdidum!“
Aniiiitaaa!
Die Schoki schmeckt mir gut, wie’s Schoki eben tut!
Aniiiitaaa!
Die Waffel knuspert fein, Glück kann so einfach sein!
Aniiitaaa!

Und so weiter, Sie wissen schon. Das ist so unendlich konventionell, daß es einem schon nach wenigen Sekunden so bekannt vorkommt, als kennte man es schon immer. Und genau das wollen sie!


Fazit: Ein Schokowaffelriegel namens Anita. Wenn Kotze Cordalis noch leben würde (falls er nicht als Untoter irgendwo raumkraucht) würden die liftungshalber nicht mehr schließbaren Schweinsäuglein in seinem Arschgesicht sicher heller leuchten als die Sterne über der Akropolis.