Der im Folgenden zu verkostende Riegel wurde mir von Janin aus Australien mitgebracht. Dafür Dank.
Was steht drauf: It’s the way it shatters that matters.
Hüftgoldfaktor: 990 kJ dat Stück (236 Kalorien)
Erster Eindruck: „Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden
Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen, mitten in uns.“
Mit dieser Antithese des Weinenden inmitten der unbeschwert Lachenden hat der
große Rilke das Bild des Gewährers der Endlichkeit gemalt und diese erhabenen Worte
erhoben sich aus meinem Gedächtnis, als ich mir Violet Crumble vornahm. Denn
auf dem tiefen, metallischen Violett, jener Farbe der Depressiven und einer,
wenn wie hier zum Schwarzen sinkend, nicht menschlichen Trauer, tummeln sich
alberne, rotumrandete, rundlich-gelbe Buchstaben, die wie ungebärdige Clowns
den Riegelnamen herturnen. Auf der Seite dann das Motto, der Wahlspruch dieses
Riegels, der sich etwas frei übersetzen läßt zu: „Von Bedeutung ist die Art,
wie es zerschellt“: und wieder stehen jene vulgär-bunten Lettern im Zentrum
dieser düster dräuenden Vernichtungskontemplation.
Zum Vorschein kommt aus der Verpackung
ein vermittels Längen-Breitenverhältnis schlank imponierender, brauner und vogelknochenleichter
Barren, dem die Reise um die halbe Welt bereits eine Mittelfraktur eingetragen
hat, die sein poröses, spongiöses und hellorangenes Inneres offenbart. In
verweigernder Gebärde hält sich dieser Riegel olfaktorisch sehr zurück und gibt
nur offensichtliches in Geruch von Schokoladennoten preis.
Mundhaptik: Krachend offenbart sich der nächste krachende
Widerspruch dieses zerschellenden Schwengels, der nach dem hartknackenden Abbiß
crunchieeskes
Getöse beim Zerkauen erzeugt und die angebliche Vorliebe der Depressiven für
weiche Nahrung zu verhöhnen scheint. Ein eigentümlicher Mikrokosmos, ein
thanatophiler Erlebnispark tut sich im Munde auf, wenn man Violet (oder Violent?) Crumble
einläßt: hier können sich die Zähne mit der Zermalmung der halbweichen und im
Gegensatz zum spröden Inneren wachsartig zerschmelzenden Schokorinde verlustieren,
dort zerschmettern sie die wüstensandfarbenen muschelkalkartigen Kolloide seines
Inneren und gleich daneben bleibt die Zunge an deren frisch aufgesprengter,
hochporöser Oberfläche kleben wie bei einem positiv verlaufenden
paläontologischen Feldtest, der einem durch das Gefühl beim Drüberlecken
verrät, ob ein soeben dem Millennienschlaf im Steinbruch entrissenses Fossil tatsächlich
der Knochen einer Urzeitechse war.
Geschmack: Wen
nimmt es nun wunder, daß auch der Geschmack dieses Sonderlings von Naschwerk
die merkwürdigsten Assoziationen hervorruft? Neben einer sofort präsenten aber
nicht zuckerigen sondern eher düster-malzigen Süße ist da eine ganz verwirrende
Wolke aus Röstaromen, die sowohl an dunkle, knackige Bauernbrotkruste, an des
Bauern Holzschuhe, mit denen er zu nahe zu lange am Ofen stand aber eben auch
an den Bauern erinnert, den man nach ketzerischer und aufwieglerischer Rede
wider den Bischof der reinigenden bzw. eben röstenden Flamme zu überantworten
sich genötigt sah. Darüber flattert ein schwaches schokoladenes Wimpelchen, das
man kaum bemerkt. Im Abgang tritt alle dieses zusammen, wird breit und warm,
wie ein unendlicher texanischer Westhorizont am Abend, hinter dem die Sonne schon
versunken ist und über dessen feuriges, warmes Flammorange sich nun ganz
allmählich allerfeinste Fäden endlichkeitverheißender violetter Nachtboten
legen.
Fazit: Violet
Crumble ist wahrlich ein Erlebnis, das schaudernd bewußt werden läßt, daß, wenn
man zu lange in den Abgrund schmeckt, der Abgrund auch in einen selbst
hineinschmeckt.