Ja ja, ich weiß, dennoch: für mich wird es immer Raider
bleiben.
Was steht drauf: Limited Edition
Hüftgoldfaktor: wird
nicht preisgegeben, stattdessen erhält man die Information, daß dieses Produkt
nicht zum Einzelverkauf „geeignet“ sei.
Erster Eindruck: Kafkaesk. Dieses Adjektiv, das ein
unergründliches Gefühl der Bedrohung,
der Unsicherheit oder des Ausgeliefertseins,
etwa angesichts einer im Dunkeln liegenden Macht bezeichnet, war meine
erste Assoziation mit dieser neuen Permutation der ansonsten ja ordinär
bekannten Riegelware in gewohnter, an den Rändern lediglich eingeröteten Verpackung:
das Seltsame, Unergründliche, Gesprungene im scheinbar Bekannten, Genormten, Gewöhnlichen
liegt uns hier vor. Uns eigentlich zustehende Auskunft (Hüftgoldfaktor) wird uns
von den obwaltenden obskuren Mächten verweigert, stattdessen werden wir mit kryptischen,
beamtendeutschen Erklärungen („Einzelverkaufsuneignung“) und sperrigen, schnarrenden
Begriffen („Spekulatiusgewürz“) abgefertigt und haben uns abzufinden.
Auch die Ration wurde uns
gekürzt. Ich erinnere mich noch daran, daß ich früher, wenn vor die Wahl der
Schokoriegel gestellt, gerne zu „Raider“ griff, weil dieser nicht nur gleich
zwei sondern auch noch besonders lange Stangerl enthielt. Die murkeligen Winzlinge,
die ich nun aus dieser Packung entnahm und die inzwischen gar kürzer als ein
Duplo sind, erinnerten mich kaum mehr an Naschfreuden der Jugendtage im
goldenen Glanze lustvoll langer Lanzen karamellunterflossener Schokoladenpracht,
sondern daran, daß immer Alles weniger und ärmer und schlechter wird und
schwindet und scheidet und daß das Leben endlich ist. Dazu paßte fast poetisch, daß
dieser gestaltgewordene Schwund, diese Momentaufnahme des Fortgenommenwerdens
aus der Nähe nach Weihnachten bei den Armen riecht, die in klammen, neonkalten
Nettofilialen die verbeulten Beutel mit den alten Pfeffernüsse auf schon hart gewordenen
Oblaten aus dem „-30%-Korb“ (kurze Haltbarkeit) klauben müssen.
Mundhaptik: Da hier wohl nur der keksene Untergrund leicht
angepasst und allenfalls minimal in seiner Knusper- und Trockenhaftigkeit
verändert wurde und der Binnenaufbau dieser Naschwerkvariation ansonsten nicht
vom Original zu unterscheiden ist, ist auch die Mundhaptik annähernd identisch
zu der, die man von jenem kannte und erwartete. Es ist wie bei Kafka: die
äußere Form ist unverändert, alles sieht wie gewohnt aus, fühlt sich wie an wie immer,
…
Geschmack: … nur
daß der altbekannte Geschmack sich eben wie in einer Nacht voll unruhiger
Träume in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt hat. Mit einer Gefühlsmischung,
wie man sie angesichts eines feist glänzenden spackschwarzen Mistkäfers, den man morgens unter
der Bettdecke vorfindet, wohl empfände, reagierte ich auch auf den Geschmack von
"Raider Spekulatiusgewürz": Überraschung, die unmittelbar überlagert wird von
einem zweifachen Unwillen, darüber, einen so unpassenden, unerbetenen, penetrant
und unignorierbar präsenten und keineswegs appetitlichen Gast (Käfer bzw. Geschmack)
dort (Bett bzw. Mund) vorzufinden und darüber, nun mit der durch die
schiere Begegnung sich einem aufbürdenden Verpflichtung sich belegt zu sehen, jenen
Eindringling zu beseitigen (fangen und aus dem Fenster werfen bzw. weiterkauen und
runterschlucken).
Fazit: »Limited Edition?«
sagte Frau Samsa und sah fragend zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch alles
selbst prüfen und sogar ohne Prüfung erkennen konnte. »Das will ich meinen«,
sagte die Bedienerin und stieß zum Beweis das angebissene Raider mit dem Besen noch ein
großes Stück seitwärts. Frau Samsa machte eine Bewegung, als wolle sie den
Besen zurückhalten, tat es aber nicht. »Nun«, sagte Herr Samsa, »jetzt können
wir Gott danken.«