Freitag, 27. Oktober 2017

Riegelverkostung – Turtles

Was steht drauf: „The Original Caramel Nut Cluster“; Original Pecan, Milk Chocolate with Creamy Caramel and Premium Pecans; Classically Crafted Since 1916; 3 Pieces

Hüftgoldfaktor: 83,3 Kalorien pro Verzehreinheit

Erster Eindruck: Da kam also einer auf die Idee, mitten im Ersten Weltkrieg damit zu beginnen, ein in Einzelbatzenform daherkommendes Schokonaschwerk namens “Schildkröten” herzustellen. Liegt ja auch nahe. Ebenso nahe jedenfalls, wie die Batzen in ein schildkrötenrotgoldenes Mäntlein zu kleiden. Der Name rührt sicher von der überaus entfernten Ähnlichkeit mit der rücklings mitgeführten Wohnstatt und Schutzbehausung jener traditionell gemächlich ihr Tagwerk verrichtenden Sauropsiden her, dabei kommen die bezeichneten Knubbel leider ohne schmucke Musterung und ohne Extremitätenöffnungen daher. Angesichts der Form der aus ihrer Hülle befreiten und auf einer vornehmen Pappzunge servierten Batzen hätte man sie daher wohl besser „Helmets“, „plattgekloppte braune Wanzen“ oder „Zwergenfeldherrenhügel“ geheißen. Und wie sie da in ihrer reptilienhaften, poikilothermen Stoik am Tageslicht liegen, lassen sie nur einen eher schwach ausgeprägten Schokoduft wahrnehmen. Es spannt sich also hinsichtlich der Verzehrvorfreude durchaus eine gewisse kognitive Dissonanz auf zwischen den Polen überaus schmackhaft klingender Ingredienzen und dem eher schäbigen, ungrazilen, ungeschaffenen Äußeren des in Angeschmack-zu-Nehmenden.

Mundhaptik: Den Bruchteil einer Sekunde denkt man beim ersten Anbiß: „Oh nein, Lebkuchen!“, denn die Schneidezahnhaptik der Batzen mutet ganz kurz und ganz zu Beginn exakt so an, wie der Biß in einen jener unvermeidlichen, wenig geliebten, oblatenfundierten und ebenfalls formhalber schildkrötenpanzerremineszenten, schokoüberzogenen Jahresendgewürzteigtaler. Doch diese mißliche Assoziation löst sich sofort in Wohlgefallen auf, wenn sich die Verzehrmasse nach ein paar Kieferschlägen sogleich in einen nußknackig-karamellkauigen, exakt angenehmen Kauwiderstand leistenden Mundschmeichler verwandelt, der gutmütig und in eigenweltlicher Behaglich- und Behäbigkeit, ganz Schildkröte also, in den kauenden Hallen auf und ab watschelt, bis er schließlich die Reise den großen Fluß herab in den Schlund antritt. Dieses innerorale Geschehen hat etwas so stillvergnügtes, selbstgenügsames, rührend-argloses, daß man sogleich einem Verein zum Schutz bedrohter Testudinata beitreten möchte.

Geschmack: So wie der Panzer der Schildkröte ihr zu Schutz und schmuckvoller Aufbewahrung ihrer wertvollen Innereien dient, so beherbergen diese reizlosen, unscheinbaren Klötzchen das eigentlich Wichtige dieses Naschwerks in ihrem Inneren: Pekannußstücke! Diese etwas streng und sonderbar und sehr eigen mundenden Hickoryfrüchte schmecken einen aus dem fein auf sie abgestimmten und sie gut zur Geltung bringenden Passepartout aus Schokolade und Karamell mit eigentümlich starrer Intensität an. Es fühlt sich an wie die geschmackliche Entsprechung des vorwurfsvollen aber auch resignativen und doch milde verzeihenden Blicks aus den feuchten, unergründlichen Augen des letzten Exemplars einer Schildkrötenart, die mit ihm zusammen aussterben wird, der Dir sagt: „Ihr habt uns ausgerottet, totgeschlagen und aufgegessen wo immer ihr uns fandet, wir haben keinen Widerstand geleistet und mit mir stirbt die letzte von uns, das Leiden hat jetzt ein Ende. Doch ich zürne Euch nicht, Ihr seid nur Menschen, eine junge, brutale und jammervoll verworfene Spezies, die sich dereinst, als erste und einzige Art in der Geschichte des Lebens, ihr eigenes Ende bereiten wird – wir vergeben Euch, denn Ihr wißt es nicht besser…“. Genauso schmecken Turtles.

Fazit: Ein sehr besonderes Naschwerk oder: drei Batzen für melancholisch-nostalgische Hobbyherpetologen.




Freitag, 20. Oktober 2017

Riegelverkostung – SKOR

Was steht drauf: Delicious Milk Chocolate / Crisp Butter Toffee

Hüftgoldfaktor: 210 Kalorien dat Stück

Erster Eindruck: Das also ist der Riegel des verruchten Hauses Skor aus den sonnenverwöhnten mörderischen südlichen Reichen. Haus Skor, mit seinem Wappen der goldenen Krone auf schwarzem Grund vor blutroter Sonnenscheibe, das sich auch auf der rabenschwarzen Riegelumhüllung findet. Schwarz, wie die fruchtbare Erde dieses Landes, Schwarz wie die nächtlichen Gewänder seiner Bewohner und Schwarz wie ihre verdorbenen Seelen, worin es sie in ihren in längst vergessene Zeiten zurückreichenden Fehden nach Blutrache und bitterer Vergeltung dürstet. Und so wie das Land der Skor, flach und weit und dunkel, den Boden durchsetzt mit güldenen Erzen, daraus sie vor Äonen ihre berüchtigte Krone schlugen, so wird auch ihr Hofriegel dargestellt. Zieht man den Naschbarren aus seiner Scheide, offenbaren sich auf seinem schokoladenen Überzug dieselbe komplizierte und kunstvoll intarsierte Ziselierung, die selben beiden paarigen Blutkehlen, die die skorischen Waffenschmiede seit Menschengedenken ihren gefürchteten schwarzen Schwertklingen eintreiben. Der sparsame Schokogeruch dieses Hungertöters, dieses Notung unter den Süßwaren, hat etwas strenges, diszipliniertes, bitteres und versagt die Preisgabe jedes Hinweises auf noch in ihm verborgene Schätze.

Mundhaptik: Man kaut hier eine Allegorie auf das Leben, wie es die Skorer nicht anders kennen. Unter einem hauchdünnen bittersüßen Firnis, hinter einer vordergründig den Schein wahrenden, milde gefälligen aber doch fast durchscheinenden Fassade wartet nur beinerne, unnachgiebige karamellene Härte, alle Härte eines Lebens, das kurz ist und spröde und bei aller Härte doch so zerbrechlich. Ein Sprichtwort in Skor lautet nicht umsonst: Wenn Du fällst wird nur der harte Grund Dich fangen. Schon früh händigen skorische Mütter ihren Kindern diese Riegel aus, damit sie daran lernen, nicht zu stürzen: Skor kann man nicht kauen, nicht genießerisch am Gaumen zerdrücken und zergehen lassen, nein, man muß ihn brechen und zertrümmern, muß seine Struktur zerstören, um ihn herunterzubekommen und wie das Zersplittern und Zerspringen spröden Schiefers, das schleifende Zerriebenwerden scharfkantigen Splitts tönt es aus dem sich abmühenden Mund, in den man einen Skor gestochen und in dieser Wunde abgebrochen hat.

Geschmack: Wenn man sich aber dieser gnadenlosen, harten Lebensschule, dieser peroralen Splitterbombe, den Zumutungen dieses grimme Züchtigung gewordenen Naschwerks duldsam unterwirft, so entfaltet es mit seinen zerschellenden karamellenen Schrapnellen ein ernstes, röstnotenreiches, firmes und lange, wie ein Echo nachklingendes Geschmackserlebnis aus reinem, vollbandigem, breitwandigem und alle denkbaren dieser Substanz zuzueignenden gustatorischen Farben und Schattierungen einendem Karamell. Es ist, als wollte Skor uns lehren, Schönheit auch noch im Allerkärgsten zu suchen, als wollte es uns die bittere Erkenntnis unserer kleiner Leben Kürze mit einem süßen, letzten Epitaph vergelten:

Vielleicht, daß wir durch Skores Härte gehen,
in karger Süße, wie ein Erz allein,
und sind so tief, daß wir das Ende sehen
und alle Fernen wurden Nähen
und alle Nähen werden Stein.

Fazit: Skor zu essen ist so paradox, wie sich an einer versteinerten, stoisch-nihilistischen Ethik zu erfreuen, die lehrt, daß Hoffnung für die Schwachen ist und sich, die Hoffnungslosigkeit während der zwei Wimpernschläge, die das Leben andauert, umarmend, an der eigenen Stärke zu erfreuen. Man muß sich Sisyphos als einen Skor-Esser vorstellen.




Freitag, 6. Oktober 2017

Riegelverkostung - [unbekannt 2]

Dieser Kamerad unleserlichen Namens wurde in Südkorea verhaftet und reiste mit mir zurück ins Land der Langnasen, wo er seinem gerechten Verzehr zugeführt wurde.

Was steht drauf: Premium und allerhand koreanisches Kauderwelsch.

Hüftgoldfaktor: 180 Kalorien dat Stück.

Erster Eindruck: Offenbar ein Akademiker-Riegel. Man verzichtet hier auf grelle Farben, wüste Logos, Abbildungen des bereits angebissenen Riegels und was der optischen Zerstreuungen und hyperbolischen Annoncen sonst auf Schokobarrenumverpackungen gerne zu finden sind. Stattdessen kündigt feine goldene Schreibschrift in gebildet wirkenden lateinischen Lettern ein "Premium"-Produkt an und selbst die rote Sprechblase, die der koreanische Riegelname von sich gibt, trägt einen Doktorhut. Das ganze findet auf einem pastellgelben Hintergrund statt, auf dem an Notenblätter erinnerne Linierungen Orientierung und Struktur verleihen. Es ist anzunehmen, daß es sich bei dieser Verzehreinheit um die selbst von koreanischen Tigermüttern gutgeheißene Ernährungsergänzung handelt, mit der die kleine Shin-Li nach einem 12-Stunden-Tag an der Uni, wo sie mit 6 schon Medizin studiert, sich vor dem abendlichen Violinmeisterkurs rasch den ansonsten allzu dissonant belfernden Hungerdämon austreiben darf, aber nicht überteiben (nur 180 Kalorien), man will ja die Teilnahme bei der Miss Sokcho-Wahl nicht gefährden.
Nach Abstreifen des gestreiften Leibchens kommt ein kurzer, kompakt anmutender, eher scharfkantiger Schokoquader zum Vorschein, der mit mittelfeinen Schokowellen überzogen ist und in seinem korrespondierenden Schokoaroma unterschwellige Nußanteile enthält. Sicher ist die Zusammensetzung des Riegels wissenschaftlich auf maximal effizienze Leistungssteigerung hin optimiert.

Mundhaptik: Ein Kaugefühl wie eine asketische Studierstube. Aufgeräumt wirkt das Riegelinnere, ordentlich, spartanisch fast. Unter der oberen Schokoschicht liegt eine ganz dünne karamellartige Lamelle, der man aber das barocke, wonnevolle Fädenziehen ausgetrieben hat. Sie ist nonfluid und kompakt und wirkt wie ein schurwollener Läufer auf kaltem Parkett vor hartem Bett. Direkt unter der Lamelle sind über die Riegellänge hintereinander einzelne Erdnusshälften angeordnet, wie die wenigen, kargen Möbel derer der Zögling in seiner Klause bedarf. Diese Nüsse sollen keine Freude sondern satt machen, sie haben einen Zweck, ihre Anzahl ist bekannt, sie sind berechnet. Das harte Bett schließlich, das die Naschentsprechung einer kurzen, traumlosen und effizienten Nachtruhe ermöglichen soll, bildet den Hauptteil des Volumens: eine Schicht einer cremehellbeigen Candymasse, die zu trocken, zäh und porös ist, um noch als Creme durchzugehen und einen süffig-kauigen Schmausespaß zu vermitteln, aber dafür sicher nahrhaft, vernünftig und ausgewogen ist. Beim Kauen des ganzen denkt man unvermittelt an all die Dinge, die noch zu tun sind, all die Pflichten, die noch der Erfüllung harren, all das Ungetane, durch das man schwer und wie gebunden geht.

Geschmack: Wie ein Snickers, dem man die Seele geraubt hat oder das an karoshi gestorben ist und nun spukend das Naschregal heimsucht, ein bißchen süß, ein bißchen erdnussig, kaum schokoladig und null karamellig. Das Ding schmeckt unmißverständlich auf eine genußverweigernde Weise. Da ist nichts ausladendes, nichts übersüßes, nichts schmackofatziges. Es ist ein ferner, ein zähneknirschend zugestandener Geschmack, der gerade eben über die Notwendigkeit, sich hiermit ernähren zu müssen, hinwegrettet und ich stelle mir die enttäuschten Mandelaugen jenes kleinen Geigenmädchens vor, daß sich nach einem langen Tag auf harten Hörsalhockern auf einen Schokoriegel freut, um sich für's Fideln zu stärken und das dann nur diesen asketischen schmeckenden Laumann, diese dionysische Verneinung, diesen mageren Freudenknauser, diesen armen, blassen Nährholm in ihrer Tasche findet. Verdrießliche Effizienz ist keine Geschmacksrichtung, die ich schätze.

Fazit: Ein Riegel wie eine von einer blechernen, herrischen Stimme geleierte Durchhalteparole. Da kommt keine Freude auf.