Freitag, 1. Januar 2010

Arme Mumien und Dinge, die es nicht geben sollte

Es wird ja heutezutage viel zu wenig über Mumien geschrieben. Und die nicht enden wollenden Anekdoten des Kollegen Goldt über Posex mit Leihmumien zähle ich jetzt mal nicht dazu. Man müßte sich wirklich intensiver mit den Lebenswelten und Alltäglichkeiten der Mumien befassen. Angefangen mit der problematischen Bezeichnung, die im internationalen Sprachverkehr sicher häufig zu Problemen führt. Hört z.B. ein nur des Englischen Kundiger das Deutsche Wort Mumie und wird dies ein wenig unordentlich und verschliffen ausgesprochen, so daß der endständige Laut, diese Mischung aus "e" und "ö" unter die beständig mahlenden Räder der Mißverständnisse gebärenden artikulatorischen Vereinfachung gerät, so vernimmt jener vielleicht nur "Mumi" und versteht daraufhin das englische "Moo me!". Gern möchte ich Zeuge dessen sein, was die Verwirrung in der Physiognomie dieses Mißverstehenden anrichtet, der sich einen Reim darauf zu machen versucht, warum er vom Sprecher aufgefordert wird, diesen seiner Imitation einer Nutzvieh-Exklamation teilhaftig werden zu lassen. Doch auch ein Deutscher, der kein Englisch versteht, wird entweder verwirrt oder, wenn er cinematographisch bewandert ist, über die scheinbare Bezugnahme auf Gepflogenheiten im Hause Bates milde verwundert sein, wenn er in der Aussprache des englischen "Mummy" die deutsche "Mami" aufzufinden vermeint. Doch auch abseits von solchen lingustischen Verwicklungen scheint mir das Dasein der Mumien mittlerweile eher trist zu sein. Damals, als Mumien noch Attraktionen auf Feierlichkeiten des englischen Adels waren,

Auf diesen Partys englischer Lords wurden dann gemeinschaftlich Mumien ausgewickelt. Die Teilnehmer erhofften sich oft wertvolle Überraschungen wie Schmuck oder Medaillons. Auf anderen derartigen Veranstaltungen wollte man sich nur gruseln, weshalb in deren Verlauf auch oft absurde Geschichten erzählt wurden.

genossen die einbalsamierten Verblichenen zweifellos eine gewisse morbide Salonfähigkeit. In etwa wie heuer out-of-bed-Frisuren oder die Angewohnheit, Sätze damit zu beginnen, daß man, was man zu sagen im Begriffe ist "mal zu sagen" ankündigt.
Heute sind die mumifizierten Ex-Mitbürger selten einmal wo ausgestellt, stauben in ihren Behältnissen vor sich hin oder fallen durch zu touristennahe Zurschaustellung dem endgültigen Verfall anheim. Generell kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als sei der popkulturelle Sex-Appeal der Mumien, ähnlich der Pfirsichhaftigkeit ihrer Hautbeschaffenheiten, verdorrt. Wie lange ist es her, daß eine prachtvoll bandagierte Mumie einen standesgemäßen (und leicht fußlahmen) Auftritt in den Lichtspielhäusern hatte? Und auch in Theater und Oper fristet sie eher ein Schattendasein.
Selbst auf die Wissenschaft scheint kein Verlass mehr zu sein: ich weiß zwar nicht, wie es um die internationale Mumienforschung bestellt ist aber zumindest die medizinische Mumienforschung weiß nicht mit Umfangreichtum zu beeindrucken und ist höchstens als zurückhaltend zu bezeichnen. Gerade einmal 485 Arbeiten finden sich heute in der Datenbank der U.S. National Library of Medicine, die sich mit Mumien befassen. Fast genausoviele Arbeiten (479) befassen sich mit dem Thema "Sack". Man ist also in den Kreisen medizinischer Gelehrter skandalöserweise ebenso viel oder wenig interessiert an beutelartigen Behältnissen, wie an durch myteriöse Prozeduren dem Nagen des Zahns der Zeit Ent- und in Binden Eingewundenen.
Denn womit befassen sich die Herren Forscher stattdessen? Mit Schmuddelkram. Nichts ahnend stieß ich auf eine Arbeit, die den (übersetzten) Titel trug "Sex und Opfer - Ein einzelner genetischer Lokus bestimmt die drei Geschlechter der Schleimpilzamöbe". Ein Aufsatz, in dem es gleichzeitig um Sex, Opfer, einen Lokus und Schleimpilzamöben, die auch noch drei Geschlechter haben, geht, sollte nicht existieren, Schleimpilzamöben sollten auf keinen Fall oder allerhöchstens als zugehörige Ding-an-sich-Entsprechung für den Kandidat für das Unwort des Jahres existieren und Leute, die sich damit beschäftigen, einen Namen für das dritte Geschlecht von Schleimpilzamöben zu finden, haben ihre Beschäftigungsvorlieben wohl im Lotto gewonnen.

P.S.: "out-of-bed-Frisuren" sind Frisuren, die, um das stereotyp zerlegene Aussehen einer Haartracht unmittelbar nach dem morgendlichen Sicherheben zu erhalten, intensiver coiffeuristischer Zuwendung und paradoxerweise keinesfalls des Einfachsolassens nach dem morgendlichen Sicherheben bedürfen.