Freitag, 21. Dezember 2018

Riegelverkostung – KitKat Rosa


Meiner kleinen Schwester gewidmet :)

Heute wird das Schwesterlein, die wieder einmal diesen Riegel stiftete, 40. Deshalb: ganz herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und auf die nächsten 40 (Jahre und Riegeltests ;))

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Was steht drauf:
Made with Ruby coco beans, Discover a new chocolate experience

Hüftgoldfaktor: 224 Kalorien dat Stück

Erster Eindruck: Nun, ein rosanes Kitkat eben. Die gleiche flache Quaderform, in der Mitte der Vorderseite das bekannte Logo auf rotem Grund, eingefaßt in ein helles Rosa und im Vordergrund ein Einzelriegel der typischen Viererbatterie im - eben - ungewohnten Rosa. Man kommt allem geschärften Bewußtsein gegenüber der dreimal vermaledeiten Gendernormativität, die natürlich auch die Rollenzuordnung unschuldiger Farben auf dem Kerbholz hat, zum Trotz nicht umhin, sich zu denken: Aha, ein Kitkat für Mädchen. So fühlt man sich auch ein wenig, wie wenn man einer dieser entgenitalisierten, stromlinienförmigen und ein unrealistisches Bild vom Frauenleib verkörpernden Barbies den rosaroten Fummel auszieht, wenn man dieses Kitkat auspackt.
Im Falle meines Exemplars, das bedauerlicherweise als Folge eines Brachialsommers geschmolzen, im Herbst dann wieder erstarrt und im Zuge dessen seiner scharfen Konturen verlustig gegangen war, löste diese Enthüllung eine erhebliche kognitive Dissonanz in mir aus, denn der wie geschmolzenes Kerzenwachs aussehende Korpus mit seinen teils über ihre Grenzen getretenen und dann zusammen gelaufenen Einzelrippen, die bei unversehrten Exemplaren immer höchst ordentlich, ja penibel wirken, erzeugt einen unterschwelligen Grusel, wie wenn man mit dem Daumen ein weiches Puppenponem nach innen drückt und aus dem heiteren Kindergesicht in einem Augenblick eine asymmetrische, verzerrte Fratze wird. Dazu paßt auch der ungute Geruch geschmolzener Plastepuppen, der von diesem DING ausgeht, wenn man die Nase ganz nahe heranrückt.

Mundhaptik: Mit etwas Entschlossenheit ließ sich aus dem verbackenen Geschmölz noch immer ein Einzelriegel herausbrechen, so daß ich nicht, wie in ein Brot in das ganze Ding hinein-, sondern gepflegt vom Stangerl abbeißen konnte. Zunächst gibt es da auch keinen Unterschied zum Original: ein kurzes, nur ganz leicht abgedumpftes Knacken und dann waffelhaftes Geknusper, abgedämpft und an den Zähnen sozusagen verfugt durch das fetthaltige Schokoladengleiten. Doch dann ist da plötzlich dieses… Saure. Ich meine das (ersteinmal noch) nicht als Geschmack sondern als Gefühl. Ein alarmierendes Gefühl, das die Amygdala aktiviert und wie eine Warnung ist. Das gehört doch da nicht hin - Sowenig wie Zitronenzuckerguß auf Schokokuchen! Falsch ist das. Doch es ist da und es grinst einen hämisch an und stört und geht nicht weg.

Geschmack: Und genau dieser Eindruck des Fremdartigen, Nichtzugehörigen bildet sich dann auch im Geschmackseindruck ab. Man erkennt schon noch, daß man hier ein Kitkat ißt, es gibt da eine gewisse Vertrautheit, doch plötzlich ist da dieses Saure und springt einen an. Man sitzt bei seinem Lieblingsitaliener, wie immer am Tisch am Fenster, draußen ist es schon dunkel und man widmet sich mit Genuß den Canneloni, die niemand so gut macht wie Beppe, man kaut versonnen vor sich hin, hebt heiter den Blick schaut angelegentlich zum Fenster hinaus und da steht, wie aus dem Nichts, ganz nah und nur durch die dünne Scheibe getrennt, eine zuckende Alptraumgestalt im rosafarbenen Latexanzug. Wo das Gesicht sein sollte, ist nur eine sich windende Masse aus mit schwärenden Wunden bedeckten, rosa Tentakeln, die wie blinde Würmer über die Scheibe kriechen, Spuren rosaner Schmiere hinterlassend, die zitternd tasten, drücken, eindringen wollen, während die geifernde Gestalt mit ihren hummerscherenartigen Händen, die man selbst durch das Glas knacken und mahlen hört, in gespenstisch abgehackten Bewegungen über die Scheibe kratzt. Man bestellt dann wohl eilig die Rechnung und läßt die Canneloni unaufgegessen.

Fazit: Ist der Riegel ernst gemeint oder war das ein Halloweenstreich der Kitkat-Macher? Ich gehe jetzt ins Bett. Und lasse das Licht an.




Sonntag, 16. Dezember 2018

Riegelverkostung - Tony's Choco Lonely


Die im Folgenden zu verkostende Riegelware brachte mir mein Mütterlein von den Azoren mit. Dafür Dank.

Was steht drauf:  melk noga

Hüftgoldfaktor:  252 Kalorien dat Stück

Erster Eindruck:  Eine wahrhaft irritierende Kombination disjunkter Merkmale präsentiert sich in diesem statt in Plaste in etwas, wie Packpapier imponierendes, eingeschlagene Riegel: auf knatsch-zitronengelbem Hintergrund mit limettengrüner Banderole werden augenirritierend in roten und weißen (!), wild-west-mäßig ungelenk und unordentlich wirken sollenden Lettern Schöpfer "Tony" und Schöpfung „Choco Lonely“ genannt. Und während Schrift und Farbkombination sommerlich-tropische Fruchtmischgetränke in ungezwungenem Ambiente suggerieren, verkantet sich in dieser Assoziation sofort die Idee der Einsamkeit, die sich aus dem Namen des Riegels erhebt. Ist hier die Einsamkeit des Süßen inmitten des grellen, Frisch-Sauren gemeint, das Sich-Alleinefühlen des stillen Andersartigen, der umgeben ist von all den lauten Gewöhnlichen, das unbequeme Memento Mori, das ein weltüberdrüssiger Zyniker den enthusiastischen Teilnehmern eines überbordenden Frühlingsfest im Vorbeigehen zuflüstert?
Unter dem Packpapier wird es dann noch rätselhafter. Dort wartet ein in bizarr geformte Fragmente zerteilter Barren, der so unheimlich wirkt, wie die durch nur von einem Lovecraft beschreibliche, ganz und gar widernatürliche, wahrhaft unirdische Geometrie beschworenen, unmöglichen Monolithenbauten jener äonenalten und doch zeitlosen Stadt auf dem Grund des Ozeans, in der der große Alte untot ruht und die sich wieder erheben wird, wenn die Sterne richtig stehen.

Mundhaptik: Und weil alles zusammenhängt, im großen Gefüge des Kosmos, weil wir alle eins sind in unserer Teilhabe an der Ursubstanz, aus der wir emergieren und in der wir uns in einem Wimpernschlag wieder verteilen werden, deren ewigem Wandel, Entstehen und Vergehen, wir wie die kleinsten Partikel, die nichtigsten Wellenwürfe dessen, was ist, ausgesetzt sind, gleicht das Innere von „Choco Lonely“ dem Inneren der Toblerone, die in ihrer ikonischen Form kultur- und länder- und zeiten- und götterübergreifend die Pyramide darstellt. Man kaut also auf nougatversetzter aber nicht –übersättigter, in der Zerkauung sähmiger werdenden Schokolade, zerknackst dabei gelegentlich in Honig kandierte Mandelminoritäten und wundert sich darüber genauso sehr und schaudernd, wie wenn man an den Wänden einer nigerianischen Kreidezeithöhle die Malereien eines Maorivolkes würde gefunden haben, das nie einen Fuß auf den schwarzen Kontinent gesetzt.

Geschmack: Gut schmeckt es, ein bißchen anders aber nicht schlechter als Toblerone: reichhaltig, vollmundig und schön durch seine Komponenten binnendifferenziert. Man weiß nur angeschmacks der gustatorischen Vertrautheit von Nougat, Milchschokolade und Honigmandeln nicht, ob man diesem Genuß trauen soll, der sich aus den bedrohlich asymmetrischen Schokoklotz-Gebilden erhebt, welche man aus einer grell-grausligen Papierpackung wickelte, die man eher als Innendeko in einem nach Marijuana, Caipirinha und Surfbrettwachs riechenden VW-Bully, dessen VW-Emblem durch ein Peace-Zeichen ersetzt wurde, erwarten würde, denn als Umhüllung jener düsteren, aber ungemein wohl- wenn auch nicht im mindesten zitrusfrisch schmeckenden monolithischen Reminiszenzen an jene tote Stadt, mit deren Wiederaufstieg eines finsteren Tages unser Abgesang, der Epitaph auf alles Leben und Atmen einsetzen wird.

Fazit: Es ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt. Dieser Riegel hätte Lovecraft Spaß gemacht. Und geschmeckt.




Samstag, 1. Dezember 2018

Riegelverkostung – ΓΚΟΦΡΕΤΑ ("Ngofreta")

Die im folgenden zu testende Riegelware wurde in meinem Beisein auf Kreta von Karin erworben und mir für Begutachtungszwecke großzügig überlassen. Dafür Dank.

Was steht drauf: ΣΟΚΟΛΑΤΑ ΠΑΥΛΙΔΟΥ ΥΓΕΙΑΣ; ΓΚΟΦΡΕΤΑ ME ΣΟΚΟΛΑΤΑ ΥΓΕΙΑΣ KAI KPEMA KAKAO (genau das!)

Hüftgoldfaktor: 175 Kalorien dat Stück

Erster Eindruck: Mit seinen zahlreichen, altmodisch wirkenden Abbildungen von Münzen und dem ovalen winzigen Abbild der Akropolis (?) in der Mitte, den talarschwarzen Riegelstangen zur Rechten, das ganze auf einem Hintergrund so makellos-tiefblau wie ein kretischer Spätsommerhimmel und natürlich mit seiner kryptisch-gelehrten Beschriftung erscheint dieser Hellenenriegel höchst gehoben und orthodox. Im Geiste hört man ernste und entschieden bärtige Männer mit schweren, halbgesenkten Augenlidern und kellertiefen Baßstimmen liturgische Anrufungen in einer nur von scheidendem Abendlicht und schwarzen Kerzen beleuchteten Basilika singen.
Als ich dann behutsam die Basilikatür auf und die Riegelhülle herunterschob, vermochte ich mich eines Schmunzelns nicht zu erwehren: statt von edlem Schwarz waren die zum Vorschein kommenden beiden Stangen ganz gewöhnlich schokobraun. Zusammengebacken waren sie, abgestoßen, mit kahlen Stellen abgeplatzter Schokolade und durch Partialschmelze ihrer ehemals einheitlichen Oberfläche beraubt. Ein Schelm, wer im Innen & Außen dieses Doppelbarrens den Übergang des Griechenlands der Antike zur Moderne läse.

Mundhaptik: So wenig, wie der Grieche das Rad hat er mit diesem an und für sich nicht ungewöhnlichen und in sehr ähnlicher Machart allerorten anzutreffenden Waffel-Schokoriegel ein überraschend neues Mund- und Kauerlebnis erfunden. Doch während man so im tendentiell bei diesen Dingern ja immer eher trockenen Waffelbruch herumknautscht, der wenigstens durch die dünnen und zwischen die ingesamt vier Waffellamellen eingezogenen Kakaocremeblätter etwas aufgelockert und beigeschmiert wird, versteht man plötzlich und überkommt einen ganz notwendig eine gewisse Rührung. Es ist diese Normalität, diese unprekäre Nonextremis in diesem braven, einfachen Waffelgenäsch, die sich die Griechen in ihrem gesegnet schönen aber ach so gebeutelten Land so sehr und inniglich wünschen. Diese stolzen Leute, deren ferne Vorfahren so unermeßlich viel geleistet, kriechen und buckeln jetzt schon so lange im Schatten des Euros, der das Land der Griechen floh, nachdem er die Drachme gemeuchelt, daß ihre Augen trüb sind, die Rücken rund, die Knie  wund. Und das Zerknuspern der Waffeln aus den ramponierten Stangen flüstert mir die Sehnsucht nach Normalität zu.

Geschmack: Und wenn man sich darauf einläßt, dem Flüstern folgt, tut der Horizont sich auf und wird der Blick weit. Über dem zuerst noch kleinen, hundsgewöhnlichen Geschmäcklein den diese Alltagskombination von Schoko und Waffel normalerweise bieten kann, spannt sich mit fortschreitendem Kau- und enzymatischem Aufschlußprozess allmählich ein Geschmacksbaldachin über einem auf, wo sich wie am Nachthimmel über dem Peloponnes gar viel entdecken läßt. Plötzlich ist da ein Aroma wie von Mokka, etwas Röstartiges, das die zuvor nur minderkomplex wahrnehmbare Süße aufnimmt, differenziert und kompartimentiert, so daß man Waffeliges und Schokoladiges nun getrennt aber zusammenklingend wie Bratsche und Gambe in einem Quintakkord wahrnimmt, dazu kommt eine sekundäre aber unleugbare Bitternote, die wunderbar abrundet und kontrapunktiert. Und mit dem letzten Bissen endet die Epiphanie, das Licht geht an und die Basilikapforte schließt sich wieder.

Fazit: Man muß Geduld haben, mit diesem Riegel. Und mit den Griechen. Per aspera ad astra…